Bund und Länder müssen aufholen bei E-Ladeinfrastruktur

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Hildegard Müller Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie
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Die deutsche Automobilindustrie geht bei der Umsetzung der vereinbarten Klimaziele voran. Wir sind führend bei der Digitalisierung, stellen in diesem Bereich die meisten Patente und sind schon heute Europameister bei der Elektromobilität. Knapp jeder zweite neu zugelassene E-Pkw in Europa stammt von deutschen Herstellern. Diese Position wollen wir weiter ausbauen. Dazu kommen hohe Aufwendungen und gute Fortschritte bei Forschung und Entwicklung von Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen, sogenannten E-Fuels.

Auch diese ermöglichen es, die CO2-Emissionen nicht nur im Kraftfahrzeugbestand – also bei Pkw und Nutzfahrzeugen – rasch und nachhaltig zu senken. Im ersten Schritt durch eine Beimischung von E-Fuels zu den fossilen Kraftstoffen, perspektivisch durch die vollständige Ablösung herkömmlicher Kraftstoffe. Der Blick auf die Neuzulassungen allein genügt daher nicht. Ohne Nutzung der CO2-Minderungspotenziale auch im aktuellen Fahrzeugbestand werden wir die weltweit ambitioniertesten Klimaschutzziele im Verkehr, die sich Europa auf die Fahne geschrieben hat, nicht erreichen können.

Die Mobilität der Zukunft wird nachhaltig und vernetzt sein. Doch bis dahin gibt es noch viel zu tun. Die Weichen müssen nun rasch gestellt werden. Neben dem Ausbau der digitalen Infrastruktur entlang aller Verkehrswege brauchen wir für neue Kraftstoffe und Antriebe die richtige Lade- und Tankinfrastruktur. Die Bundesregierung ist schon auf einem guten Weg, zum Beispiel durch die Förderung privater Ladeinfrastruktur. Nun muss der Auf- und Ausbau der Infrastruktur rasant an Fahrt aufnehmen. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern auch für die gesamte Europäische Union.

Kurzum: Die Industrie macht ihre Hausaufgaben und liefert. Jetzt müssen auch Bund, Länder und Kommunen die Infrastruktur fit machen, damit wir die von der Politik gesetzten Ziele auch erreichen können.

Mobilität ist ein zentraler Bestandteil unseres täglichen Lebens – in der Großstadt, in den Vororten oder auf dem Land. Um von A nach B zu kommen, können wir frei wählen, ob wir das Fahrrad nehmen, das Auto oder den öffentlichen Personennahverkehr. Diese Wahlfreiheit, die von den Bürgerinnen und Bürgern auch ausdrücklich gewünscht wird, muss auch bestehen bleiben. Wir müssen die Mobilität der Zukunft gemeinsam ganzheitlich denken. Das bedeutet, dass die einzelnen Verkehrsmittel nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen, denn gerade in ihrer Verknüpfung liegt die Chance. Eine weitere Polarisierung der Verkehrsteilnehmer hingegen, wie sie in der öffentlichen Debatte in manchen Städten schon zu beobachten ist, bringt uns nicht weiter.

Vielmehr müssen dafür ideologische Barrieren überwunden werden. Wir sollten vor allem auch an die Leute denken, die lange Strecken fahren müssen, in ihrer Mobilität eingeschränkt sind oder aus beruflichen Gründen flexibel sein müssen. Es geht um Millionen von Pendlern, um viele Familien mit Kindern, um Senioren, um nur einige von ihnen zu nennen. Sie müssen alltägliche Besorgungen erledigen, den weit entfernten Arbeitsplatz erreichen oder ihr Leben mit den Kindern organisieren. Anders als der „urbane Single“, der beispielsweise in Berlin oder Hamburg einen gut ausgebauten ÖPNV nutzen oder bei gutem Wetter aufs Fahrrad steigen kann, sind sie auf individuelle Automobilität angewiesen. Das wird in der Diskussion oft vernachlässigt. Denn für viele Bürgerinnen und Bürger ist das Auto die einzige Möglichkeit, tagtäglich und für alle Erfordernisse mobil zu sein.

Um die Automobilität weiterhin zu gewährleisten und sie emissionsfrei zu gestalten, geht die deutsche Automobilindustrie entschlossen voran. Wir bringen neue E-Modelle – bis 2024 werden insgesamt rund 150 E-Modelle von deutschen Herstellern auf dem Markt sein –, und legen damit vor. An den Fahrzeugen wird es also nicht scheitern. Allerdings braucht es eine rasante Vervielfachung der Ladestationen in allen Regionen Deutschlands. Im Moment haben wir nur einen Bruchteil davon an den Straßen. Im Mai 2020 waren es 27.730 Ladepunkte im öffentlichen Raum. Das reicht bei weitem nicht aus. Hier besteht noch erheblicher Nachholbedarf – gerade auch wenn wir die EU-Ziele zur CO2-Reduktion erreichen wollen.

Darüber hinaus sind Ad-hoc-Sperrungen von Straßenabschnitten, die nicht durch Bauarbeiten gerechtfertigt sind, Pförtnerampeln oder willkürliche Tempolimits in bestimmten Bezirken keine Lösung zur klugen verkehrlichen Entlastung der Städte. Der Autoverkehr verschwindet dadurch nicht, sondern er sucht sich neue Wege. Statt Verboten sollte eine zukunftsorientierte Stadtverwaltung intelligente Lösungen suchen, um den Verkehr zu entlasten, zu verflüssigen und so die Lebensqualität in Städten wirklich zu steigern. Symbolpolitik überzeugt die Menschen nicht. Wir fordern daher Innovationen statt Verbote und immer auch eine entsprechende Bürgerbeteiligung, die sowohl die Interessen der Anwohner als auch zum Beispiel die der Pendler sicherstellt.

Welche intelligenten Lösungen sind das? Eine wichtige Rolle spielen Digitalisierung und Vernetzung. Durch Innovationen in diesem Bereich werden Verkehrsträger wesentlich besser als heute miteinander verknüpft, Verkehre effizienter und Städte entlastet. Mit dem Auto bis zum Stadtrand, dort kann der Wagen auf ausreichenden Parkflächen abgestellt werden. Anschließend geht es weiter mit Bus, Bahn oder Mikromobilität. Eine sinnvolle Verbindung der Nutzung von Auto, ÖPNV, E-Scootern, E-Fahrrädern oder Sharing-Fahrzeugen kann Mobilität in Städten viel effizienter machen und gleichzeitig einen erheblichen Beitrag zur CO2-Emissionsreduktion leisten.

Mobility-As-A-Service-Angebote, auch von Unternehmen der deutschen Automobilindustrie, zeigen, wie die praktische Umsetzung aussehen kann. Wege werden kürzer, Ziele schneller erreicht und dabei wird das Klima geschützt. Wir als Industrie verschließen uns dabei nicht, sondern gehen offensiv in den Dialog, so zum Beispiel in der „Plattform Urbane Mobilität“, in der wir als VDA gemeinsam mit Kommunen und Unternehmen an Lösungen arbeiten.

Es hapert oft nur noch daran, dass Daten für Mobilitätsdienste nicht immer zur Verfügung gestellt werden, zum Beispiel von Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs. Hier gibt es noch Nachbesserungsbedarf. Und hier liegt der Schlüssel, um innovative Lösungen schnell an den Start zu bringen. Auch bei anbieterübergreifenden Reservierungs- und Bezahlsystemen gibt es noch zu viele Hürden, die überwunden werden müssen.

Neue Mobilitätsdienstleistungen wie Ride-Pooling sind ebenfalls gute Lösungen zur Vernetzung der Verkehre. Sie ermöglichen es, die von vielen als sehr groß wahrgenommene ÖPNV-Lücke zu schließen. Der Bundesverkehrsminister reformiert jetzt dafür das Personenbeförderungsgesetz (PBefG), um solche Angebote dauerhaft rechtssicher möglich zu machen. Das fordern wir seit geraumer Zeit. Ein erster Entwurf des reformierten PBefG aus dem Bundesverkehrsministerium sieht für Länder und Kommunen aber noch viele Möglichkeiten zur Beschränkung privatwirtschaftlicher Ridepooling-Dienste vor.

Bei zu restriktiver Handhabung dieser Kompetenzen, droht das zarte Pflänzchen neuer Mobilitätsdienste gleich am Anfang der Entwicklung erstickt zu werden. Natürlich brauchen die Kommunen Steuerungshebel, aber hier muss ein angemessener Mittelweg gefunden werden. Auch droht eine Ungleichbehandlung zwischen Ridepooling-Diensten im ÖPNV und Diensten privater Anbieter, z. B. bei der Umsatzsteuer. Für eine solche Diskriminierung gibt es keine nachvollziehbare Begründung. Auch private Ridepooling-Dienste haben das Potenzial, die Straßen zu entlasten und die Umwelt zu schützen. Dies alles zeigt: Der Dialog über den geeigneten Rechtsrahmen für Zukunftslösungen hat gerade erst begonnen.

Nicht zu vergessen das vernetzte und automatisierte Fahren. Dadurch wird der Verkehr noch sicherer, komfortabler und emissionsärmer. Hier sehen wir insbesondere auch im innerstädtischen Bereich durch sogenannte „People Mover“ großes Potenzial. Autonome Fahrzeuge haben jedoch nur dann eine Zukunft, wenn sie auf die richtige digitale Infrastruktur treffen. Der rechtliche Rahmen muss mit der hohen Innovationsgeschwindigkeit schritthalten. Wichtige Bausteine sind die Erreichung einer flächendeckenden, dynamischen Mobilfunkfunkversorgung sowie die Abdeckung aller Hauptverkehrswege und urbanen Räume mit 5G bis 2025. Da haben wir noch einen weiten Weg vor uns.

Ich bin überzeugt, dass die Mobilität der Zukunft elektrisch, digital und vernetzt ist. Wir als Automobilindustrie gehen hier entschlossen voran und bringen die Innovationen an den Start. Entscheidend ist nun ein enges Zusammenspiel zwischen Industrie und Politik – denn nur gemeinsam sind wir stark.

 

Hildegard Müller